Hier der Bericht zur unserer Veranstaltung „Wo bleibt die Bahndie wir am 18. Februar im DAS FREIE WORT, in Wien abgehalten haben.

Die größten Autoverkehrsaufkommen österreichweit entstehen in und um die Ballungsräume. Soziale und umweltgerechte Verkehrspolitik muss genau dort den Hebel ansetzen, um den Autoverkehr auf die Schiene umzulenken. Denn wo sich täglich die Massen zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung bewegen, ist kurzgetackteter Schienenverkehr in Hinblick auf CO2-Bilanzen, Flächenverbrauch und Wohnqualität die effektivste Lösung - auch sozial und volkswirtschaftlich.
Trotz dieser Dringlichkeit liegen jedoch Schienen brach oder werden sogar rückgebaut, während enorme Mittel für neue Autobahnbauten bereitgestellt werden. Seit Jahren argumentieren zahlreichen Bürgerinitiativen dagegen und legen alternative Lösungen vor.
Von den Entscheidungsträger wird darauf jedoch nicht eingegangen!
 
Wie damit umgehen, dazu wurde zu diesem Treffen eingeladen.

In einer ersten Runde erfolgte die Vorstellung der teilnehmenden Initiativen:

Josef Baum, Verkehrsforum Waldviertel

Gabriele Rath-Schneider, IG Regionalbahn Weinviertel

Christian Oberlechner, Pro Franz-Josefs-Bahn

Jutta Spitzmüller, Zukunft auf Schiene, Burgenland 

Wolfgang Hnat, Restart Wien-Krems-Linz

Christa Kranzl, Donauuferbahn jetzt!

Nora Haidowatz, BI Hirschstetten-retten

Vertreter:innen der BI S80 Lobau 

Gerhard Hertenberger, BI Rettet die Lobau – Natur statt Beton

Irmi Hubauer, Lobauforum
Peter Pelz, BI Verbindungsbahn-besser

Stefan Steinbach, 4-spuriger Ausbau Meidling-Mödling verbessern

In der zweiten Runde gab es eine Diskussionsrunde zu gemeinsamen weiteren Vorgehen, hier die Aufzeichnung.

   

 

Weil Ernst Lung zur Veranstaltung am 18 Februar verhindert war dürfen wir freundlicher Weise hier seinen Diskussionsbeitrag zu „Wo bleibt die Bahn” veröffentlichen. Ernst Lung ist Raumplaner mit Schwerpunkt Verkehrsplanung.

Abschließend eine Zusammenfassung und ein Forderungskatalog der aus dem gemeinsamen Austausch hervorgegangen ist. Erstaunlich war, wie ähnlich das programmatische Verständnis über die notwendige Verkehrswende schon entwickelt ist:

  1. Übergeordnetes Ziel ist die Entwicklung eines flächendeckenden Netzes des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) von den Hauptschlagadern bis zur Erschließung aller Gemeinden, und besonders solcher in peripheren Lagen. Die Bahn bildet dabei das Rückgrat – auch politisch-symbolisch, stellvertretend für alle anderen notwendigen Begleitmaßnahmen.

  2. Wir haben es in den letzten Jahrzehnten und selbst noch in den letzten Jahren mit einem beispiellosen verwahrlosenden Niedergang und bewussten Abbau des Bahnnetzes zu tun, selbst in dicht besiedelten Gebieten. Wir fordern daher zu aller erst sehr schnell durchführbare und verhältnismäßig kostengünstige Maßnahmen der Wiederinbetriebnahme, Ertüchtigung und Verbesserung bestehender Bahninfrastruktur, besonders aber auch die Nutzung bereits bestehender Schienen-Infrastruktur, wenn diese sogar ohne Adaptierung sofort befahren werden kann. Diese würden rasch eine enorme Verbesserung bringen, zum Beispiel durch die simple Wiedereröffnung wegen angeblich zu geringer Nachfrage geschlossener Stationen.

  3. Auch größere mittel- und langfristige Investitionen sind notwendig. Aber die dürfen nicht auf Kosten der unmittelbar möglich und notwendigen Maßnahmen gehen. Das muss Hand in Hand laufen mit einer grundlegenden Änderung der Raumordnung und damit des Verkehrs. Bisher wurde alles auf das Auto gesetzt (der ÖV war lediglich zusätzlich gedacht). Damit förderte man Zersiedelung, Suburbanisierung und Peripherisierung. Das kann nicht von heute auf morgen repariert werden. Aber wir könnten ab sofort dem systematisch entgegenwirken. Daher dürfen nicht nur die Zentren mit Hochleistungsbahnstrecken verbunden werden (in die derzeit der Löwenanteil der Investitionen fließen), sondern es geht um die Erschließung der Fläche. Das heißt auf der anderen Seite nicht nur kapillare Verbindungen, sondern auch Leistungen und Angebote, Arbeiten und Freizeit in lokalen Zentren wiederherzustellen. Verkehrsvermeidung durch kurze Wege erfordert ein anderes Entwicklungsmodell für den Verkehr im Speziellen und die Gesellschaft im Allgemeinen.

  4. Erst in diesem Zusammenhang können das Fahrrad sowie alle weiteren niedrigschwelligen Bewegungskonzepte (speziell zu Fuß gehen) ihre Potentiale für die Bewältigung kurzer, lokaler Wege und als Zubringer für übergeordnete Systeme des ÖV realisieren – und nicht nur für die Freizeit.

  5. Auch die Art und Weise der Planung von an sich begrüßenswerten Großprojekten, wie der Verbindungsbahn in Wien, dem vierspurigen Ausbau der Strecke Meidling-Mödling oder dem zweigleisigen der Pottendorfer Linie, muss sich ändern. Diese werden wie Autobahnen errichtet, meterhohe Betonbarrieren, die Wohnviertel zerschneiden und trennen – mit dem vorrangigen Zweck den Autoverkehr nicht zu stören bei am Beispiel der Verbindungsbahn in Hietzing deutlich macht. Die Bahn soll aber im umfassenden Sinn verbinden, für die Anwohnerinnen und Anwohner sowie die Bachläufe durchlässig sein, Grün erhalten, Fahrradtrassen und Übergängen Platz bieten und die Stationen zu lokalen Zentren zum Aufhalten machen. Und natürlich muss die Bevölkerung mehr einbezogen werden.

  6. Günstiger ÖV ist wichtig, aber noch wichtiger ist das umfassende Angebot, ohne den der Umstieg auch bei noch so geringen Tarifen nicht gelingen wird. Insgesamt bedeutet die Wende zum ÖV nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Wende. Denn auch die Kosten für die öffentliche Hand sind geringer als für Autoinfrastruktur, sie schaffen mehr und bessere Arbeitsplätze und steigern den allgemeinen Wohlstand. Die Förderung des ÖV verteilt nach unten, während die Förderung des Autoverkehrs die Reichen bevorzugt. Das ist ein entscheidend wichtiges Argument um die Mehrheit von der Wende zu überzeugen, sowie gegen die noch immer vorhandene und instrumentalisierte Autoideologie, die persönliche Freiheit verspricht, jedoch die enormen gesellschaftlichen Unkosten vor allem für die weniger Privilegierten verschleiert.

  7. Schlussendlich benötigt es auch ein allgemeines Umdenken zum Motorisierter Individualverkehr (MIV). Unsere Bewegung spricht sich gegen Verbote aus, es sind jedoch Zeichen zu setzen die eine Bewusstseinsänderung in Sachen Verkehr ermöglichen. Dazu wäre in erster Linie eine geänderte Förderung für tägliche Fahrten von Pendlern zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geeignet. Die Pendlerpauschale in der jetzigen Form hat falsche verkehrspolitische Lenkungseffekte und ist noch dazu im Mai 2022 befristet bis zum 30. Juni 2023 um 50% angehoben worden. Weiters braucht es Kostenwahrheit. Mit der Einrechnung aller Kosten die, mit dem MIV verbunden sind, wäre der Öffentliche Verkehr, der auch Rad und Zu-Fuß-gehen mit einschließt, in einem ganz anderen Licht zu sehen. Mit geänderter Geschwindigkeitsregelung und geänderter Priorisierung, die nicht motorisierte Straßenteilnehmer bevorzugt, wären weitere positive Effekte erzielbar.

Jede der Initiativen setzt ihre Anstrengungen fort und lädt die anderen dazu ein, sich zu beteiligen. Vier Aktionen in der nächsten Zeit wurden benannt:

  1. Anlässlich der Regierungsbildung in Niederösterreich wird es eine Kundgebung in St. Pölten geben, ausgerichtet von der Initiative Verkerswende.at, die versucht allen Gruppen eine gemeinsame Plattform zu bieten.

  2. Das Lobauforum gemeinsam mit Hirschstetten Retten, Lobau bleibt, BI Rettet die Lobau – Natur statt Beton, S80 Lobau und noch anderen Bewegungen wird am Samstag, den 6. Mai eine Raddemo entlang der für den fahrplanmäßigen Nahverkehr seit vielen Jahren nicht genutzten Abschnitte der „Laaer Ostbahn” durchführen. Treffpunkt: 14h Stadlau. Ziel ist die Wiedereröffnung der S-Bahnlinie im Rahmen der Taktverdichtung der S80 als Alternative zum Lobau-Autobahntunnel.

  3. Verbindungsbahn Besser wird vor Ablauf der Frist im Herbst noch eine plakative Aktion machen, um ihr dringliches Anliegen, die Ausbaustrecke Anwohner-, Radfahrer- und Umweltfreundlicher zu machen, Nachdruck zu verleihen.

  4. Die Waldviertler Initiative Pro-Franz-Josefs-Bahn wird ihr Programm in einer öffentlichen Aktion vorstellen und hofft auf Unterstützung aus der gesamten Ostregion.

Unsere Bewegung, denn das sind wir und als solche wollen wir uns weiterentwickeln, ist sich klar darüber, dass es vorranging um den Aufbau von öffentlichem Druck für die Verkehrswende geht. Trotz der schönen Worte sind wir nämlich mit einer sträflichen Unterlassung der Verkehrswende durch die Landesregierungen konfrontiert, die in manchen Bereichen an Sabotage grenzt, insbesondere dort wo die Kosten sehr gering wären und der Betrieb sogar ohne öffentlichen Zuschuss kostendeckend geführt werden könnte – wie im Bereich des Wiener S-Bahn-Netzes. Auf der anderen Seite suchen wir natürlich den Kontakt zu den politisch Verantwortlichen, gemeinsam mit den Expertinnen und Experten, um jede noch so kleine Verbesserung umgesetzt zu bekommen. Doch für den grundlegenden Wandel braucht es einen wirklichen Bruch mit der bisher vorherrschenden (Verkehrs)politik – und den setzen wir uns zum Ziel.