Mobilitäts-Konzept für eine attraktive Donaustadt statt „Stadtautobahn Stadtstraße Aspern“
Autor:innen (in alphabetischer Reihenfolge):
Christian Almeder, Alfred Benda, Ute Glentzer, Hilde Grammel, Gerhard Hertenberger,
Jutta Matysek, Wolfgang Pollak, Simon Pories, Wolfgang Sigut
Wissenschaftlich begleitet von:
Scientists for Future
Eine gemeinsame Initiative von (in alphabetischer Reihenfolge):
BNWN BürgerInnen Netzwerk Verkehrsregion Wien NÖ / Nordost
Exctinction Rebellion
Fridays for Future
Hirschstetten-retten
Lobau bleibt!
Lobau-Forum
Österreichischer Siedlerverband - Bezirkskoordinator der Siedlervereine des 22.Bezirkes
Rettet die Lobau
System Change Not Climate Change
1220 Wien, Jänner 2022
Mobilitäts-Konzept für eine attraktive Donaustadt
statt „Stadtautobahn Stadtstraße Aspern”
Das Dokument stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ist als Denkanstoß für eine fachliche Diskussion zu sehen. Die Ansätze werden wie folgt unterteilt (im Text grün markiert):
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Kurzfristige Ansätze Umsetzung in <1 Jahr
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Mittelfristige Ansätze Umsetzung in 1-5 Jahre
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Langfristige Ansätze Umsetzung in > 5 Jahre
Die Donaustadt bzw. die Donaustädter:innen stehen im Mittelpunkt dieses Dokuments. Sieben der neun Autor:innen leben in unterschiedlichen Bezirks-Teilen der Donaustadt.
Inhalt
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Problemstellung
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Klimaziele in der Donaustadt
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Problem-Empfinden der Donaustädter:innen
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Ursachen
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Erwartbare Effekte der „Stadtautobahn Aspern“
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Lösungsansätze
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Maßnahmen zur Attraktivierung der aktiven Mobilität
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Maßnahmen zur Attraktivierung der Öffis
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Maßnahmen zur aktiven MIV-Reduktion
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Zusätzliche öffentlichkeitswirksame Maßnahmen
Problemstellung
Klimaziele in der Donaustadt
Die Einhaltung der Klimaziele zur Erreichung des 1,5°C Ziels sind das zentrale Anliegen der Klimabewegung und auch zentraler Verhandlungspunkt mit der Stadt Wien. Die Stadt Wien hat sich durchaus ambitionierte Klimaziele gesetzt und muss in weiterer Folge nun glaubwürdig darlegen, wie sie diese Ziele in allen Bereichen einhalten will. Diese Ziele umfassen:
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Klimaneutralität bis 2040
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Senkung des Endenergieverbrauchs im Verkehrssektor um 40% pro Kopf bis 2030
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Senkung der CO2-Emissionen des Verkehrssektors pro Kopf um 50% bis 2030
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Senkung des MIV-Anteils im Modalsplit von 27% auf 15% bis 2030 (dieses Ziel muss auch den Pendler:innen zugeordneten MIV abbilden)
Um diese Ziele erreichen zu können, müssen umfassende Maßnahmen in allen Wiener Gemeindebezirken getroffen werden. Das betrifft insbesondere den Verkehr als größten CO2-Emittenten der Stadt. Gerade Flächenbezirke wie die Donaustadt sind besonders Verkehrs-geplagt und müssen daher im Interesse ihrer Einwohner:innen sowie des Klimaschutzes dringend die Mobilitätswende einleiten.
Problem-Empfinden der Donaustädter:innen
In den zahlreichen Gesprächen der Klimabewegung mit den Bewohner:innen der Donaustadt wurden immer wieder die folgenden Punkte als Haupt-Probleme genannt:
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Zu Fuß gehen ist unattraktiv
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Wege sind zu weit und werden nur ungern zu Fuß zurückgelegt
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Viel Verkehr, zu viel Stau
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Viele Abgase
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Zu Fuß gehen und Radfahren werden als gefährlich empfunden
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Fortbewegung mit den Öffis ist mühsam
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Das Auto ist am bequemsten
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Die Straße gehört den Autos
Ursachen
Die von den Bewohner:innen der Donaustadt wahrgenommenen Probleme sind auf folgende Ursachen zurückzuführen:
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Keine koordinierte Raumordnung: Lange Wege (z.B. zum Einkaufen, für Erledigungen) vor Ort durch städtebauliche Fehlentwicklung über Jahrzehnte (z.B. weitläufige Gewerbeparks bzw. großes Einkaufszentrum, wenig lokale fußläufig erreichbare Infrastruktur, Supermärkte mit großflächigen Parkplätzen ohne Überbauung mit Wohnungen und/oder Büros, durch starken MIV/Autoverkehr geschädigte Einkaufsstraßen mit sterbender Infrastruktur etc.)
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Schlechter Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes: U-Bahn wirkt nur in Richtung Zentrum und punktuell, kaum Straßenbahnen, Querverbindungen fehlen, unattraktive Busverbindungen mit langen Wartezeiten bzw. ohne Busspur; als Folge starkes MIV-Aufkommen (z.B. in Essling)
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Schlechte ÖFFI-Anbindung nach NÖ: Unzureichende hochwertige öffentliche Verkehrsverbindung
an die Wiener Stadtgrenze bzw. in die Vororte, somit schlechte Nutzung der als unattraktiv empfundenen öffentlichen Verkehrsmittel (siehe Kordonerhebung, Käfer-Zählung) -
MIV ist attraktiv da klar bevorrangt, z.B. durch
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Fußgänger:innen-feindliche Ampelschaltungen
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Autoverkehr-Fließstrecken
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klare Unterbindung einer Parkraumbewirtschaftung über viele Jahre durch die SPÖ in der Donaustadt (wird sich mit 01.03.2022 ändern)
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Unzureichende Zusammenarbeit der Wiener Stadtregierung bzw. Wiener Verkehrsbetriebe mit den OEBB zur Attraktivierung der S80 Bahnlinie, Marchegger Ast, welche heute Schnittpunkte mit U2, U3, U1 und dem Hauptbahnhof hat, aktuell bis nach Meidling, Speising und Auhof geführt ist und einen Anschluss in Richtung Flughafen Wien aufweisen könnte
Erwartbare Effekte der „Stadtautobahn Stadtstraße Aspern“
Die als „Stadtautobahn“ geplante Stadtstraße Aspern würde in ihrer aktuellen Ausführung…
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nachweislich den MIV wesentlich erhöhen, statt zu reduzieren (induzierter System-Verkehr +322.200 KFZ-km/Tag in Wien und Wiener Umland1),
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somit den MIV im Modal-Split erhöhen2 und nicht wie gewünscht reduzieren,
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weiters nur den MIV verlagern, statt zu reduzieren
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und somit die beschriebene Verkehrs-Problematik noch befeuern, anstatt diese zu entschärfen.
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Dies führt somit zu einer langfristigen Verschlechterung der Lebensqualität für die Donaustädter:innen durch Effekte, wie Attraktivierung des MIV, Konkurrenz des ÖV, Zersiedelung, Konkurrenz zur Entwicklung einer lokalen Versorgungs-Infrastruktur, mehr Abgase, mehr Lärm etc.
[1 Quelle: Stadtstraße Aspern, Einreichprojekt 2014, Verkehr, Verkehruntersuchung, C01.01.1001, Seite 229]
[2 Quelle: Stadtstraße Aspern - Stellungnahme des BMLFUW gemäß § 5 Abs. 4 UVPG 2000 zu der übermittelten Umweltverträglichkeitserklärung vom 14.08.2014, Seite 4]
Lösungsansätze
Maßnahmen zur Attraktivierung der aktiven Mobilität
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Stadt der kurzen Wege (mittel-, langfristig)
Entwicklung vieler kleiner Zentren in fußläufiger Entfernung vom Wohnort statt weniger großer Zentren (kritisch zu sehen sind große Zentren, wie Donauzentrum Kagran (Zerstörung der lokalen Infrastruktur im Umfeld, z.B. entlang der Wagramer Straße), Entwicklungsgebiet Seestadt Aspern (als politisches Vorzeigeprojekt, welches Infrastruktur aus dem Umfeld abzieht: Beispiel Umsiedlung der Bücherei aus Aspern, Schließung der Bahnstation Hausfeldstraße…) -
Widmungsverantwortung als Lenkungsmaßnahme durch die Behörden, z.B. keine neuen Gewerbeparks, keine Supermärkte mehr mit großflächigen Parkplätzen ohne Überbauung mit Wohn- und Büroflächen, Aufforderung zur Schaffung kleinerer Geschäftslokale ohne Parkplatz, Überbauung von Einkaufszentren etc.; generelles Konzept: Erdgeschoß ist Geschäften vorbehalten, 1. Stock Büros und erst darüber Wohnungen (kurz-, mittel-, langfristig)
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Bei Einkaufszentren ist die Erreichbarkeit mit ÖFFI und Fahrrad sicherzustellen (kurz-, mittel, langfristig)
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Begegnungszonen: Mehr Raum für Fußgänger:innen, Radfahr- und Wohnstraßen (kurz-, mittel, langfristig)
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Zeitgemäße Ampelschaltungen mit Fußgänger:innen-Bevorzugung (kurz-, mittelfristig)
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Stärkung der Eigenverantwortlichkeit bei allen Verkehrsteilnehmer:innen, z.B. Kreuzungen ohne Ampelregelung, Rücksichtnahme-Prinzip (kurz-, mittel, langfristig)
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Sinnvolle Radverbindungen und Priorisierung des Radfahrverkehrs, z.B. nicht am Gehsteig geführt, möglichst direkt, Schnell-Radfahrwege etc., siehe Radfahrer:innen-Organisationen, z.B. Rad-Lobby, Rad-Agenda, Argus (kurz-, mittel, langfristig)
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Sichere, wettergeschützte Fahrradabstellplätze (kurz-, mittel, langfristig)
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Unterstützung des Aufbaus von betrieblichen Hygienemöglichkeiten für Radfahrer:innen bei Betrieben und im öffentlichen Dienst (kurz-, mittel, langfristig)
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Fokus auch auf den beruflichen Radfahrverkehr, z.B. breitere Radwege und größere Abstellplätze für Lastenräder notwendig (kurz-, mittel-, langfristig)
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Höhere Dotierung des Lastenfahrrad-Förder-Topfes (kurz-, mittelfristig)
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Ladestationen für E-Bikes (kurz-, mittelfristig)
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Sichere Schul(rad)wege (kurz-, mittelfristig)
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Das Fahrrad als Fortbewegungsmittel speziell in der Peripherie und in dünn-besiedelten Gebieten mit geringer ÖFFI-Auslastung stärken (kurz-, mittelfristig)
Maßnahmen zur Attraktivierung der Öffis
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Entkoppelung des weiteren Öffi-Ausbaus von der geplanten „Stadtautobahn Stadtstraße Aspern“ (kurzfristig)
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Intervalle: Attraktivität vor Wirtschaftlichkeit (kurzfristig)
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Viergleisiger Ausbau der Ostbahn-Brücke (mittelfristig)
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Flaschenhals S80 Erzherzog Karlstraße beseitigen (kurz-, mittelfristig)
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Mehr und neue Straßenbahn-Linien, innerhalb der Donaustadt, in Verbindung mit Floridsdorf und v.a. auch zur Stadtgrenze bzw. darüber hinaus (mittelfristig umsetzbar)
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Straßenbahn- (oder ev. U2-Verlängerung) nach Groß-Enzersdorf und darüber hinaus (zB Orth a.d. Donau - als Lokalbahn ähnlich Badner Bahn)
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Verlängerung einer Straßenbahn-Linie nach Groß-Enzersdorf als Zubringer zu U2 und U1; Anbindung Klinik Donaustadt gewünscht.
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Bereits geplanter 27er durch die Seestadt nach Groß-Enzersdorf: Abzweigung 27er (von 26er) über Berresgasse in die Seestadt mit Schnittpunkt U2 Aspern Nord, U1 Kagraner Platz und U6 Floridsdorf
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Straßenbahnerschließung von Prager Straße über westliche Leopoldau zum Kagraner Platz nach Hirschstetten und zum Contiweg/Hausfeld (U2 An den Alten Schanzen) und weiter in die Seestadt
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Prüfen der Sinnhaftigkeit einer Straßenbahnlinie von Neuessling über Breitenlee zum Kagraner Platz, alternativ Schnell-Bus
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Straßenbahnlinie von Brigittenau (S-Bahn Traisengasse), über Brigittenauerbrücke, über Kagraner Brücke bis Stadlau
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Aufwertung der S80 Marchegger Ast (kurz-, mittelfristig)
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zweigleisig, elektrifiziert bis Marchegg
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mit mehr P&R Angebot außerhalb Wiens (anstatt in der Seestadt) und smartes Bus-Zubringer-Konzept zu den Stationen
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Takt alle 10min, kurzfristig umzusetzen alle 15min (statt alle 30min heute) bis Marchegg
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zusätzliche S80 Station Telephonweg
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Wiedereröffnung Station Hausfeldstraße mit Schnittpunkt U2 und 26er
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Wiedereröffnung Station Lobau mit direktem Zugang zur Neuen Donau
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Station Praterkai mit Umstiegsgmöglichkeit zur S45 Richtung U6 Handelskai bzw. Hafen Wien und Flughafen Wien
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Station Hasenleiten als Umsteigeknoten mit S7 errichten (Flughafenanbindung)
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Verlängerung von Hütteldorf nach Wolf in der Au zwecks P&R Möglichkeit, um den MIV über die Westeinfahrt deutlich zu reduzieren
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Schnell-Buslinien (kurz-, mittelfristig)
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zur Verbindung Asperner Siegesplatz über/entlang Hausfeldstraße (Schnittpunkt U2, 26er, 27er) mit Breitenlee, Industriepark Rautenweg und U1 Aderklaaerstraße
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Groß-Enzersdorf und darüber hinaus (Schnittpunkt 25er), Essling (Schnittpunkt 25er), Telephonweg/Invalidensiedlung (Schnittpunkt S80)
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Floridsdorf - A22 - U1 VIC - Kaisermühlen - Dampfschiffhaufen - S80 Station Lobau über Raffineriestraße, Biberhaufenweg - Siegesplatz - U2 Aspernstraße
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Smartes Kleinbus-Konzept in weniger dicht besiedelte Gebiete (kurz-, mittelfristig)
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im Lobau Vorland, Schafflerhofstraße, Telephonweg
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Attraktivierung des ÖFFI Angebotes an PendlerInnen durch kostengünstige Tickets für Fahrten von außerhalb der Stadtgrenze auch in Kombination mit P&R außerhalb der Stadtgrenze, z.B. Ausweitung Öffi Kernzone Wien über die Stadtgrenze hinaus, Klimaticket (kurz-, mittelfristig)
Maßnahmen zur aktiven MIV-Reduktion
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Unterstützung von Arbeitgeberaktivitäten zur Reduktion des Auto-Verkehrs, z.B. zwingende Öffi-Job-Tickets, Home office etc. (kurzfristig)
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Sofern lokale Aufschließungsstraßen unerlässlich sind, sollten diese
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einem Klimacheck unterzogen werden
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wenn möglich als Begegnungszone ausgeführt werden
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durch Rückbaumaßnahmen an anderer Stelle kompensiert werden.
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Rückbau von wenig genutzten Straßen: Beispiel Donaustadtstraße von Donauzentrum bis Auffahrt A23/A22 (kurz-, mittel-, langfristig)
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Schleichwege eindämmen: Unterbindung von Schleichwegen durch intelligente Straßen-/Einbahn-Führungen (kurz-, mittelfristig)
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P&R-Anlagen außerhalb Wiens, um den Pendler-Verkehr abzufangen (kurz-, mittelfristig)
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Betriebsgleise erhalten, reaktivieren, neu schaffen und Nutzung fördern
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Geschwindigkeitsbegrenzungen (kurz, mittelfristig)
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Tempo 30 auf Gemeindestraßen und Wohnstraßen noch langsamer
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Autobahnen im Stadtgebiet Tempo 60
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Parkraumbewirtschaftung (kurz-, mittelfristig)
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Grundstückskosten-abhängige Bepreisung
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Autotyp-abhängige Bepreisung
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Kleinräumigere Zonen in Flächenbezirken, um Quell-/Zielverkehr innerhalb des Bezirks zu reduzieren
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generell und durch Parkraumbewirtschaftung frei werdende Parkplätze im öffentlichen Raum reduzieren und umwidmen (Grünflächen, Radwege etc...)
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Lenkungsmaßnahmen den ruhenden Verkehr in die bestehenden Garagen zu verlagern (kurz-, mittelfristig)
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Gut ausgelastete Fahrzeuge im Straßenverkehr bevorzugen, z.B. bestehende Fahrspuren reservieren für Fahrzeuge mit >3 Personen (mittelfristig)
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Schulstraßen-Konzept mit Reduktion des Eltern-Taxi-Verkehrs, z.B. Verein Geht-doch-Wien (kurzfristig)
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Niederschwellige Sammel-Taxi-Angebote (kurz, mittelfristig)
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Betriebliches Mobilitäts-Management: Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten sollen darauf Rücksicht nehmen, wo Mitarbeiter:innen wohnen (kurz, mittelfristig)
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Absenkung des Stellplatzschlüssels (kurz-, mittelfristig)
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Car-Sharing (kurz, mittelfristig)
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im öffentlichen Raum auch in weniger dicht besiedelten Gebieten
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verpflichtende Gemeinschafts-Autos in allen Tiefgaragen und Wohnanlagen (unterschiedliche Nutzungs-Möglichkeiten, z.B. Kleinwagen und Klein-LKW)
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Gemeinschaftlich Nutzung von betrieblich genutzten LKWs und PKWs
Zusätzliche öffentlichkeitswirksame Maßnahmen
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Politische Entscheidungsträger:innen mit Vorbildwirkung zur Erreichung der Wiener Klimaziele und klarer Präferenz für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel bzw. anderer Nicht-MIV-Alternativen (kurzfristig)
Weiterführende Dokumente:
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