Lärmschutz bei Nacht- das BVwG am Gängelband der Stadt Wien?
Ein Erfahrungsbericht von Heinz Mutzek (Bild erster von Links), Vertreter des BürgerInnen-Initiativen-Netzwerk Verkehrsregion Wien-NÖ (BNWN)
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Am Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in Wien habe ich im Rahmen der Genehmigungsverhandlung am 18. Februar 2022 zu den nachträglich beantragten Nacht-und Wochenend-Bauarbeiten im dichtbesiedelten Errichtungsgebiet der Stadtstraße Aspern die haarsträubensten Erfahrungen meiner vielen Verhandlungsmarathons der letzten Jahre gemacht.
Während gut bezahlte Sachverständige wohlwollend beurteilen sowie der Politik nahestehende Rechtsanwälte der Projektbetreiber kühne Rechtsauslegungen einfordern, erfüllen Richter die ihnen von Wirtschaft und Politik zugedachte Rolle als Eiertanz zwischen richterlicher Würde, juristischen Winkelzügen und den zunehmend in Bedrängnis geratenden Bürger-, Umwelt- und Grundrechten.
Auch wenn einzelne kritische Fragen und Argumente zugelassen wurden, ist folgender umwelt- und grundrechtlicher Schwachsinn dabei, genehmigt zu werden:
Unter dem Titel der Gefährdung der Bahninfrastrukurleistungen für die Öffentlichkeit wurden Nacht- und Wochenendarbeiten an mehr als 100 Tagen abgesegnet, obwohl ein großer Anteil dieser Öffentlichkeit selbst Betroffene sind und unverhältnismäßig stark um ihre Regenerations- und Schlafbedürfnisse beraubt werden können.
Weil die Interessen der Wirtschaft mehr wiegen, wird das Argument der Bahninfrastuktur auch dort geltend gemacht, wo 50 Nacht- und Wochenendarbeitstage davon nur dem Zweck der Flüssigkeit des Straßenverkehrs dienen, während die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit von mehreren tausend teilweise sozial schlechtergestellten BewohnerInnen der Donaustadt auf eine harte Probe gestellt wird.
Ungeachtet der gültigen EU-Grenzwerte und der Wiener Lärmindexwerte wird von den lärm- und humanmedizinischen Sachverständigen wie auch von den Richtern eine Überschreitung der Lärmstressgrenze von 60 dB(A), jener Lärmgrenze, jenseits derer praktisch verunmöglicht wird, dass Betroffene überhaupt einschlafen können, akzeptiert. Völlig absurd ist, dass sogar die vom Projektwerber Stadt Wien vorgelegten Lärmausbreitungskarten mehr als 65 dB(A) Schallimmission, berechnet an den Fenstern vieler betroffener Bewohner, aufweisen. Obwohl damit keine Gesundheitsgefährdungen ausgeschlossen werden können, wurden die Magistrate der Stadt Wien dazu verpflichtet, die mehr als tausend am nächsten gelegenen Anrainer per Brief über Beginn und Ausmaß der Nacht- und Wochenendarbeiten zu informieren.
Nach der Devise „Vogel flieg, friss oder stirb“ können die Lärmgeplagten somit wegziehen, ihre Dienstpläne verschieben, wenn fehlende Konzentration zu beruflichen Fehlleistungen führen könnte, ihre Ohren mit dagegen wenig wirksamen „Ohropax“ zustoppeln oder in Demut als „Objekt Mensch“ verharren, bis die nächtlichen Lärmpegel wieder verhallt sind!
Man kann nur hoffen, dass das vegetative Nervensystem der am meisten betroffenen Bewohner stark genug ist und seine Reizweiterleitung keine koronaren Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Verzweiflungstaten verursacht.
In meiner Aktivität als umwelt- und menschenverbundener „ehrenamtlicher Bürgerrechtler“ brennt mir folgende Fragestellung unter den Fingernägeln, welche sehr bald auch die österreichischen Höchstgerichte beschäftigen wird:
Wozu steht in der österreichischen Bundesverfassung der Schutz des Menschen vor der Gefährdung durch Lärm an oberster Stelle des Staatsziels „Umfassender Umweltschutz“, wenn dies in Umweltverträglichkeitsprüfungs-Verfahren missachtet wird und diese Unvereinbarkeit mit der rechtsverbindlichen EU-Umgebungslärmrichtlinie und den gewerberechtlich anzuwendenden Lärmvorschriften vom Bundesverwaltungsgericht an der Bevölkerung vorbeigeschummelt wird?